Background Info

Ihr wollt wissen, warum es mal wieder länger dauert mit dem nächsten Kapitel? Dann besucht mich auf meinem anderen Blog "Pages of Life". Dort gibt es auch ab und an Neues aus der Schreibwerkstatt, das nicht unbedingt etwas mit Sady zu tun hat.

Aber keine Sorge, das nächste Kapitel kommt ganz bald!! :)

Chapter 21

Die folgenden Wochen waren nicht gerade meine glücklichsten. Ich versuchte noch ein, zwei Mal mit Tom zu sprechen, aber er blockte ab. In der Agentur war unser Verhältnis kollegial und sachlich, aber bei Weitem nicht mehr freundschaftlich. Man hätte meinen können, wir hätten kaum miteinander zu tun, würden uns nicht kennen. Mich nahm die Sache mehr mit, als ich gedacht hatte. Es hatte sich zwar nichts daran geändert, dass ich in Tom nur einen Freund sah, aber genau das war das Problem. Er war nicht mehr – aber auch nicht weniger. Er war nicht einfach nur ein Kollege, der sich jetzt plötzlich distanzierte. Ich verlor einen Freund.
Ich versuchte mich trotz allem in die Arbeit zu stürzen. Hoffte, dass ich dadurch den Spaß daran wieder fand. Anfangs war das auch ganz erfolgreich. Ich arbeitete bis spät in die Nacht, las Manuskripte, telefonierte mit Autoren, organisierte Lesereisen, übernahm Urlaubsvertretungen von Kollegen, die spontan den Spätsommer genießen wollten. Selbst Mr. P entging nicht, dass ich einen Zahn zulegte. Was nicht hieß, dass mich das in irgendeiner Form weiter brachte. Er nahm das lediglich zum Anlass mir noch mehr Arbeit aufzubrummen und ab und an einen süffisanten Kommentar abzugeben.
Die viele Arbeit verlangte aber nach einiger Zeit ihren Tribut und mit unterlief ein Fehler. Ich hatte einer Partneragentur einen Vertrag für einen ihrer Autoren zugeschickt, in dem ein falsches Honorar vermerkt war. Der Vertrag kam unterschrieben zurück – und das Kind war in den Brunnen gefallen. Mr. P tobte, ich versuchte alles, den Vertrag zu annullieren … was sich aber als vergeblich herausstellte. Es war keine schöne Sache, aber irgendwie würde die Agentur auch aus der Situation herauskommen. Notfalls war man gegen solcherlei Dinge versichert. Aber für mich hatte das unschöne Folgen. Mr. P hatte einen Tobsuchtsanfall nach dem anderen. Er ließ keine Möglichkeit aus, mir zu zeigen, wie unfähig ich doch war, meine Arbeit zu erledigen. Ich bekam nur noch langweilige Aufträge, die keiner machen wollte, Handlangerarbeiten. Schließlich war es nicht zu verantworten, mir wichtige Arbeiten anzuvertrauen. Zunächst ließ ich das einfach über mich ergehen. Ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Das war nicht abzustreiten. Ich zog einfach den Kopf ein und hoffte darauf, dass sich die Lage mit der Zeit beruhigte. Als dies nicht eintraf, kroch ich langsam aus meinem Schneckenhaus hervor und fing an, darauf aufmerksam zu machen, dass meine Arbeit in den letzten Jahren durchaus gut war und ich nicht nur an einem – zugegebenermaßen großen – Fehler gemessen werden wollte. Das war ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich hoffte immer wieder wenigstens bei Tom Hilfe zu finden, aber er hielt sich da raus. Früher hätte er mit mir darüber gelästert, was für Lachnummern in der Agentur doch angestellt waren und dass die sich eines Tages noch alle wundern würden. Jetzt jedoch sagte er gar nichts dazu. Nur Jasmin kam ab und an und zeigte mir, dass auch sie nicht damit einverstanden war, wie man mich behandelte. Sie war aber noch sehr jung und wollte hoch hinaus. Logisch, dass sie es sich dann mit niemandem verscherzen wollte.

Als es wieder einmal soweit war, dass Projekte aufgeteilt wurden und ich nur zuarbeiten sollte, war ich endgültig frustriert. Mir war klar, dass sich etwas ändern musste. So konnte es nicht weitergehen. Nach Feierabend fuhr ich direkt zu Maja ins Buchlädchen, um sie auf einen Wein einzuladen. Wir wollten sowieso auf einen sehr erfolgreichen Lesemonat anstoßen. Die Veranstaltungen, die wir geplant hatten, waren sehr gut bei Majas Kundschaft angekommen, so dass bereits weitere für Dezember angesetzt waren. Auch die Zahl der Kunden war merklich gestiegen. Die Kinderlesevormittage an jedem zweiten Samstag hatte Maja beibehalten. Die Zwerge liebten den selbstgemachten Kuchen, den Majas Mutter spendierte, und waren immer mit Feuereifer dabei.
„Oh, hallo! Was machst du denn hier?“ Maja freute sich, dass ich spontan vorbei schaute.
„Ach, ich musste mal einen normalen Menschen sehen.“
„Auweia! Wieder die Agentur?“ Ich nickte.
„Ich brauche bestimmt noch ne Stunde, bis ich hier rauskomme. Aber meine Ma kommt gleich und bringt frischen Kuchen für morgen mit und da drüben gibt es einen großen Stapel neuer Bücher. Da kannst du dich ja beschäftigen.“
„Das mache ich. Wenn ich störe, sagst du aber Bescheid.“
„So ein Quatsch!“ Maja gab mir scherzhaft einen Klaps. „Ich kann nur nicht sofort los. Danach hab ich Zeit.“
Ich machte mich daran, die Neuerscheinungen zu durchstöbern. Kurz nach mir kam Helena, Majas Mama, ins Lädchen und mit ihr eine Duftwolke, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.
„Sady! Schön, dass ich dich auch mal wieder zu Gesicht bekomme!“ Sie drückte mich mütterlich an ihren großen Busen. „Du siehst nicht gut aus, Mädchen!“ Am liebsten hätte ich losgeheult. Aber ich war ja keine fünf mehr.
„Ach Helena. Momentan ist einfach alles doof. Aber das wird schon wieder.“ Helena tätschelte mir den Arm. „Was hast du denn für Kuchen gebacken? Der durftet fantastisch!“
Helena musste lachen.
„Wenigstens daran hat sich nichts geändert. Du bist noch genauso eine Naschkatze, die Kummer mit Kuchen und Schokolade bekämpft, wie früher.“
„Ja, aber früher waren die Probleme damit dann auch weg …“
„Dann bekommst du jetzt ein extra großes Stück. Das hilft bestimmt.“
Majas Ma packte drei verschiedene Kuchen aus. Einer sah besser aus als der andere und alle dufteten sie himmlisch! Ich bekam ein ordentliches Stück Schoko-Kirsch. Es war – wie nicht anders zu erwarten – sehr, sehr lecker. Ich fühlte mich tatsächlich um einiges besser.
„Na siehst du, jetzt kannst du sogar wieder lächeln! Ihr bleibt doch immer kleine Mädchen! Was würdet ihr nur ohne eure Mamas tun?“ Ich lachte sie an.
„Das weiß ich auch nicht!“
Wenig später kam auch Maja dazu. Sie hatte den Laden abgeschlossen und sah geschafft aus. „Oh! Schoko-Kirsch! Ich will auch eins!“
„Noch so ein kleines Mädchen!“ Helena schüttelte lachend den Kopf und holte einen zweiten Teller.
„So, wenn du aufgegessen hast, könnt ihr gehen. Den Rest mache ich. Ihr seht so aus, als könntet ihr einen Schluck Wein vertragen.“
„Ach Mama! Du musst hier nicht die Putzfrau spielen! Ich mach das schon noch heute Abend.“
„Keine Widerrede!“ Wenn Helena das sagte, war jeder Widerstand zwecklos. Also klaubten wir die letzten Krümel von unseren Tellern und machten uns auf den Weg zu Majas und Bens Wohnung. Ben war bis Ende der Woche auf Geschäftsreise, so dass wir die Wohnung für uns hatten.
Maja machte gemütliches Licht an, holte Gläser aus dem Schrank und öffnete eine Flasche Wein.
„So, nun erzähl mal was los war.“
Ich berichtete ihr, was geschehen war. Dass ich mal wieder kein eigenes Projekt bekommen hatte, Mr. P selbstverständlich darauf hinweisen musste, dass es Kollegen gibt, denen man verantwortungsvolle Arbeit nicht übertragen konnte, und so weiter, und so weiter.
Maja seufzte.
„Ganz ehrlich, Sady. Ich bezweifle, dass sich an der Situation noch viel ändern wird.“
Auch mir war das inzwischen klar geworden.
„Aber was soll ich denn dann machen? Solche Jobs liegen ja nicht auf der Straße herum.“
„Du wolltest dich doch eh umorientieren. Vielleicht was ganz anderes machen. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dafür.“
Maja hatte recht, aber sich Gedanken zu machen, was man theoretisch alles anders machen wollte, Luftschlösser zu bauen, zu fantasieren … das war etwas ganz anderes, als es dann wirklich in Angriff zu nehmen.
„Ich weiß nicht. Was wenn es nicht funktioniert. Und was genau sollte ich machen? Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll …“
„Du hast doch noch so viel Urlaub über. Warum fährst du nicht weg? Dann könntest du Abstand gewinnen, dir Gedanken machen, was du genau willst und dich erkundigen, wie du das umsetzen kannst.“
Ich überlegte.
„Das wäre eine Möglichkeit. Aber wo soll ich denn hin? Wir haben Anfang Oktober und in den warmen Ländern ist es mir zu teuer. Und dann auch noch alleine!“
„Du könntest Paula in London besuchen. Sie wohnt da zwar erst seit 3 Wochen, aber das macht ihr bestimmt nichts aus.“
Wir hatten Paula und ihre Mutter Jutta auf Sylt kennengelernt. Damals wartete Paula noch sehnsüchtig auf eine Zusage für einen Job als Ärztin in einem Londoner Krankenhaus. Kurz nach unserem Urlaub haben wir vier uns auf einen Wein in Hamburg getroffen und sie hatte berichtet, dass sie tatsächlich nach London gehen würde. Ich liebte diese Stadt und es wäre eine willkommene Abwechslung. Ich wusste, dass Paula mit Heimweh zu kämpfen hatte. Sie wollte erst Weihnachten wieder nach Deutschland zurück kommen und vielleicht konnte ich ihren Abschiedskummer etwas erleichtern.
Ich entschied, ihr noch heute Abend eine Mail zu schicken und sie zufragen, was sie davon hielt.

Eine Woche später stand ich am Flughafen, Gepäck für drei Wochen dabei und wartete darauf, dass mein Flug aufgerufen wurde. Maja saß neben mir und war ein bisschen traurig – weil sie nicht mitkommen konnte und weil wir uns nun drei lange Wochen nicht sehen würden.
„Bestell Paula liebe Grüße. Und schlepp mir ja keinen rothaarigen Inselmenschen an, den du dann heiraten willst. Verstanden?! Ich will nicht ständig zwischen Hamburg und London pendeln müssen.“
Ich knuffte sie in die Seite.
„Ich hab grad wirklich andere Dinge im Kopf, als mir einen Kerl dort anzulachen.“
Die Anzeige sprang um und zeigte das Gate, zu dem ich musste. Ich verabschiedete mich von Maja und machte mich auf den Weg.

Chapter 20

Das Wochenende verbrachte ich auf meiner Couch. Meine Stimmung schwankte zwischen Selbstmitleid, Wut, aufkeimendem Optimismus, Traurigkeit. Passenderweise war das Wetter umgeschlagen. Der Himmel hatte sich zugezogen uns es regnete immer wieder. Auch die Temperaturen waren gefallen.
Die Nacht mit Tom hatte ich inzwischen so oft in Gedanken wiederholt, hin und her gewendet und von allen Seiten betrachtet, dass sie ganz unwirklich schien. Mir war, als hätte ich das nur geträumt. An sich war alles nicht weiter schlimm, aber doch verfahren.
Als ich Montagmorgen aufwachte fühlte ich mich wie nach einem schlechten Traum. Doch ich wusste, das es anders war. Das mir das Gefühl nicht einfach nur den ganzen Tag noch in den Knochen stecken würde, sondern dass ich mich mit der Situation auch weiterhin würde auseinandersetzen müssen. Heute würde Tom wieder in die Agentur kommen und ich hatte bisher nicht wieder mit ihm gesprochen. Wie sollte ich mich ihm gegenüber verhalten? Sollte ich so tun, als wäre nichts weiter passiert? Sollte ich ihn fragen, wie es ihm geht? Ob er mit Bee gesprochen hatte? Sollte ich ihm gar meine Hilfe anbieten? Oder mich entschuldigen? Ich wusste es einfach nicht.
Mir graute es davor, aufzustehen. Wenn der Tag doch nur schon vorbei wäre! Dann wüsste ich wenigstens, auf was ich mich die nächsten Wochen einstellen konnte. Die Arbeit in der Agentur machte mir in letzter Zeit nicht mehr so viel Spaß wie zu Beginn. Wenn die Zusammenarbeit mit Tom jetzt durch diesen dummen Fehler anstrengend werden würde, wäre das nicht gerade vorteilhaft.

Eine gute Stunde später war ich auf dem Weg in die Agentur. Beim Coffee Shop neben der U-Bahn-Station holte ich mir einen Kaffee und ging die letzten Meter in die Agentur. Dort herrschte bereits rege Geschäftigkeit. Aber Tom war noch nicht da.
Kaum hatte ich mich in das erste Projekt eingelesen, hörte ich seine Stimme auf dem Flur. Mein Herz setzte einen Moment aus. Los Sady, Augen zu und durch. Ich ging in rüber in Toms Büro.
„Hey.“
„Hey ...“ Tom sah auf. Kein Lächeln lag auf seinen Lippen.
Wir schwiegen uns an.
„Ähm, Jasmin hat gesagt, du hättest dich um meine Sachen gekümmert. Danke. Hast du heute Nachmittag Zeit? Dann können wir Übergabe machen.“
Wir taten also so als wäre nichts passiert. Ich hatte mir gewünscht, dass es so wäre. Das war das einfachste von allen Alternativen. Einfach tun als wäre Tom Donnerstagabend nicht zu mir gekommen. Dann könnten wir weiterhin Freunde sein. Aber jetzt merkte ich, dass ich genau das nicht konnte. Ich konnte nicht so tun als ob. Ich wollte, ich musste darüber mit Tom reden.
„Ja, ich hab Zeit.“
„Prima. Ich stell dir einen Termin ein.“ Tom sah wieder auf seinen Bildschirm, war plötzlich sehr beschäftigt. Ich schluckte, drehte mich um und schickte mich an zu gehen. In der Tür drehte ich mich noch einmal um.
„Tom?“ Er blickte auf.
„Ja?“
„Wegen Donnerstag –“
„Sady. Da gibt es nichts weiter dazu zu sagen.“ Toms Ton war schärfer geworden. So kannte ich ihn nicht. Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Okay ... Vielleicht nicht hier, aber ...“
„Nein, Sady. Es war ein Fehler und ich will darüber nicht sprechen.“ Zorn keimte in mir auf.
„Ja, aber ich vielleicht.“
„Nein.“
„Tom“, ich trat einen Schritt in sein Büro und schloss die Tür. „Es war ein Fehler, ja. Aber den haben wir beide begangen. Und dann kannst du nicht alleine entscheiden, wie wir damit umgehen.“
„Du auch nicht.“
„Aber ...“
Tom stand auf, öffnete die Tür.
„Sady, es ist besser, wenn du jetzt gehst.“

Chapter 19

Ich rief in der Agentur an, erzählte etwas von einem kaputten Wecker und war eine Stunde später mit erheblicher Verspätung an meinem Schreibtisch. Da meine Laune inzwischen auf dem Nullpunkt angekommen war, raunzte ich jeden an, der mir über den Weg lief.
Am Nachmittag erhielt ich eine SMS von Maja:
Hey! treffen uns heute ne stunde später. komm ruhig schon vorher, ben meint, er weiß nicht mehr wie du aussiehst :) kannst du noch wein mitbringen? kuss, maja.
Oh nein! Das hatte ich ganz vergessen. Heute Abend war Mädelsabend bei Maja angesagt, mit DVD, Wein, Pasta, Schokolade – das volle Programm. Danach vielleicht noch Party. Das würde ich nicht durchstehen, nicht nach so einer Nacht. Ich hatte kaum geschlafen und dazu das absolute Chaos angerichtet! Aber wie sollte ich absagen, ohne die ganze Geschichte erzählen zu müssen? Ich musste es Maja erzählen, aber nicht am Handy, und nicht mit Publikum.
Muss absagen. geht mir nicht so gut. erzähl ich dir morgen. euch viel spaß! sorry!! kuss
Keine zwei Minuten später klingelte mein Telefon – Maja.
Ich zögerte, hob dann aber doch ab.
„Hey Maja.“
„Sady, was ist denn los? Stress in der Agentur?“
Ich spürte, wie mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich schluckte.
„Ich hab Mist gebaut.“
„Oh. Erzähl! Was ist passiert? Wird schon nicht so schlimm sein.“
Ich holte tief Luft.
„Hat nichts mit der Agentur zu tun. Also … eigentlich doch … aber … nee … nicht wirklich … obwohl“ Ich seufzte.
„Das hört sich ja kompliziert an. Was um Himmels Willen hast du gemacht??“
„Ich kann dir das nicht am Telefon erzählen.“ Ich musste wieder schlucken. Jetzt wollte plötzlich alles aus mir heraussprudeln, musste es loswerden. Aber am Telefon war das mehr als ungünstig, vor allem in der Agentur.
„Du machst es aber spannend. Ich kann den Abend auch absagen und wir treffen uns allein. Wein kannst du trotzdem mitbringen.“
„Ach, du hast dich doch schon so auf den Abend gefreut.“
„Dann komm doch auch. Vielleicht ist die Ablenkung ganz gut. Und wenn die anderen auf den Kiez fahren, erzählst du mir, was passiert ist.“
„Kann ich mich spontan entscheiden?“
„Nein, dann bleibst du nämlich zu Hause. Am besten, du kaufst nach Feierabend zwei Flaschen Wein und kommst direkt zu mir. Keine Widerrede!“
Maja hatte recht. Wenn ich erst einmal zu Hause war, würde ich mich eingraben und wahrscheinlich nie wieder aus der Versenkung auftauchen.
„Widerspruch ist zwecklos, was?!“
„Absolut!“
„Okay“, ich seufzte, „dann bis später.“

Gegen sechs verließ ich die Agentur und kaufte auf dem Weg zu Maja in einem Supermarkt Wein und Knabberzeug.
Als ich klingelte machte mir Ben die Tür auf.
„Du siehst ja ganz schön fertig aus.“ Ben grinste und nahm mich zur Begrüßung in den Arm.
„Hmm.“
Ben schaute mich ernst an.
„Oh, wirklich nicht gut drauf heute, was? Du darfst dich auch bei den harten Sachen bedienen. Das hilft immer.“ Er schob mich durch die Tür. Maja kam aus der Küche auf mich zu und umarmte mich ebenfalls zur Begrüßung. Schon wieder stiegen mir die Tränen in die Augen.
„Au weia. Ich hätte den anderen doch absagen sollen.“
Ich schniefte kurz.
„Ach, geht schon.“
„Okay, wir haben noch zwei Stunden Zeit bis die anderen kommen. Wir schicken Ben jetzt zu seinen Kumpels, ich mach dir eine Caipi und du erzählst was los ist. Dann werden wir weiter sehen.“
Ich nickte nur. Wir gingen in die Küche, schnitten Limetten auf und füllten Eis in zwei Gläser. Wenig später schaute Ben in die Küche und warf Maja einen Handkuss zum Abschied zu.
„Benehmt euch! Und wenn ihr Hilfe braucht bei was auch immer, dann ruft an.“ Männer! Ich musste nun doch lächeln.
„Ja, machen wir.“
„Gut. Bis später!“
„So“, sagte Maja, „jetzt ist er weg. Nun mal raus mit der Sprache!“
Wo sollte ich nur anfangen?
„Ich, ähm, also gestern Abend … erst hat es geklingelt … er wollte nur reden … aber, also … es war auch ganz harmlos eigentlich … wir …“
„Warte mal kurz“, unterbrach mich Maja, „wovon redest du? Wer war denn da?“
„Ich war mit Tom im Bett.“ Jetzt war es raus. Maja machte große Augen.
„Du meinst … ? Tom, der aus der Agentur, dessen Opa gerade gestorben ist?“
„Genau der.“
„Ich wusste gar nicht, dass du auf ihn stehst.“ Maja sah mich neugierig an.
„Tu ich eigentlich auch nicht. Das … hmm, das hat sich irgendwie so ergeben.“ Ich erzählte Maja, wie Tom bei mir am späten Abend vor der Tür stand, wir stundenlang geredet und am Ende miteinander geschlafen haben. Als ich fertig war, brannten meine Augen. Es waren inzwischen Tränen der Wut. Wie konnte ich mich nur darauf einlassen? Ich hätte in unser beider Interesse nein sagen müssen.
Wir schwiegen einen Moment.
„Da habt ihr euch ja schönen Schlamassel eingebrockt.“ Maja sah mich mitfühlend an.
„Wie soll es denn jetzt weitergehen? So tun als ob nichts passiert ist oder wollt ihr noch einmal drüber reden? Hat er denn was gesagt, ob er es Bee erzählen wird?“
„Ich denke schon. Hörte sich zumindest so an. Aber wie es zwischen uns weitergehen soll – keine Ahnung. Ich meine, ich will nichts von ihm. Aber jetzt ist er auch nicht mehr einfach nur Freund und Kollege. Ich weiß auch gar nicht, wie das in der Agentur werden soll!“
„Na, jetzt mal nicht den Teufel an die Wand. Am besten ihr redet drüber. Okay, es hätte nicht passieren dürfen, aber es ist auch kein Weltuntergang. Tom war aufgewühlt, eben in einer extremen Situation. Das ist keine Entschuldigung, aber eine Erklärung. Ihr seid erwachsen und werdet damit schon irgendwie klarkommen.“
„Es bleibt uns ja nichts anderes übrig.“ Ich seufzte. „Danke, dass du mich überredet hast. Jetzt geht es mir besser.“
Maja nahm mich in dem Arm.
„Ach Mensch. Du hättest heute krank machen und gleich zu mir kommen sollen!“
„Wahrscheinlich wäre das besser gewesen, ja.“
„So, und jetzt ab ins Bad, Gesicht sauber machen und dann kommen gleich die Mädels. Und Sady, Kopf hoch. Davon geht die Welt nicht unter!“
„Ja, Mutti!“ Wir mussten lachen.

Chapter 18

Toms Lippen waren warm und weich. Schlaftrunken und überrascht ließ ich mich in den Kuss fallen. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Langsam erwachten meine Gedanken und wirbelten wild durcheinander. Was tat ich hier? Eben noch versuchte ich Tom zu trösten. Tom, meinen Kollegen, einen guten Freund. Und jetzt liebkosten seine Lippen die meinen, wurden fordernder. Sorgten für ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch.
„Tom ... Tom!“ Tom wich ein Stück zurück und sah mich an.
„Ich, ähm, ich weiß nicht, ob das ...“ Er strich mir mit seinem Daumen über den Mund. Seine Augen leuchteten in einem traurigen Glanz, ganz dunkel. Er sagte nichts, sah mir nur tief in die Augen, sein Blick folgte seinen Händen. Ganz leicht und weich an meiner Wange entlang, hinunter zu meinem Kinn. Sein Mund verschloss meinen, ganz zart schenkte er mir einen Schmetterlingskuss, bedeckte meine Haut mit Küssen. Seine Hände erkundeten meinen Körper, ertasteten, verwöhnten. Ich schob meine Zweifel und Gedanken beiseite. Ließ meine Hände wandern, spürte Toms weiche Haut unter meiner, atmete seinen Duft ein, stillte meinen Durst nach Berührungen und Nähe, gab mich ihm hin.

Am Morgen erwachte ich in einer wohligen Umarmung, umschlungen von starken Männerarmen. Noch während ich das Gefühl genoss, ganz aufgehoben zu sein, erwachte die Erinnerung an letzte Nacht. Ich schlug meine Augen auf und stellte fest, dass es tatsächlich Tom war, der da neben mir im Bett lag. Ich betrachtete ihn, seine Arme, die mich noch immer umschlungen hielten, seine schönen Hände, die meinen Körper zum Glühen gebracht hatten. Ich sah, wie sein Herz gleichmäßig in seiner Brust schlug, berührte ganz leicht die Stoppeln an seinen Wangen, die meine Haut aufgeschrubbelt hatten. Da meldete sich mein schlechtes Gewissen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht?! Tom war mit Bee zusammen, machte gerade eine schwere Zeit durch und ich hatte nichts besseres zu tun, als mit ihm ins Bett zu steigen!
Ich wand mich aus seiner Umarmung und schlich ins Bad. Wie spät war es eigentlich? Elf Uhr! Na fantastisch. Ich hätte bereits seit mindestens zwei Stunden an meinem Schreibtisch sitzen sollen. Ich ließ mich auf den Badewannenrand plumpsen und vergrub mein Gesicht in den Händen. Was für ein Chaos! Die Ereignisse der letzten Nacht hatten eine unerwartete Wendung genommen. Tom war ein sehr leidenschaftlicher und einfühlsamer Liebhaber. Was, wenn er bereute, was letzte Nacht passiert war? Ich hätte es nicht zulassen dürfen. Seine Welt war bereits aus den Fugen als er hier ankam. Er war zu mir gekommen, um Trost zu finden, nicht, um auch noch seine Beziehung in den Sand zu setzen.
Ich stieg in die Dusche, drehte das heiße Wasser auf und hoffte, mein schlechtes Gewissen fortspülen zu können.

Als ich in ein Handtuch gewickelt aus dem Bad kam, war Tom schon wach und knöpfte gerade sein Hemd zu. Er sah auf. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ein verlegenes Lächeln huschte über Toms Gesicht.
„Hey.“
„Hey.“
Betretenes Schweigen.
„Tom ...“, „Sady ...“ setzten wir gleichzeitig an.
Ich senkte den Blick.
„Tom ... ich, ähm, also ... das mit letzter Nacht.“ Tom kam auf mich zu.
„Sady. Letzte Nacht, das war wirklich schön.“ Er sah mir in die Augen.
„Aber ...“
„Aber es war wohl nicht so eine gute Idee.“ Er seufzte. Uns war beiden klar, dass jetzt nichts mehr war wie zuvor.
„Tut mir leid. Ich hätte ...“
„Sady, es muss dir nicht leid tun! Mir tut es leid. Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist.“ Er fuhr sich durch die Haare. „Ich ... ach, Scheiße. ... Ich muss mit Bee reden.“ Wieder seufzte er. Jetzt war seine Situation noch komplizierter als vor seinem Besuch.
„Sady, ich muss gehen. Tut mir leid.“ Er strich mir noch einmal über die Wange, küsste mich auf die Stirn und ging. Ich sank aufs Bett und die erste heiße Träne suchte sich ihren Weg.

Chapter 17

„Tom! Was machst du denn hier?“
„Hey. Stör ich? Kann ich kurz reinkommen?“ Tom stand unten vor der Haustür. Er war sichtlich mitgenommen von den Ereignissen des Tages.
„Natürlich.“ Ich drückte auf den Türöffner und ließ ihn herein. Während ich darauf wartete, dass Tom die Treppe hoch kam, sah ich an mir herunter. Na ja, besuchertauglich war mein Outfit nicht gerade, aber es war auch schon spät. Tom nahm die letzten Stufen und kam auf mich zu.
„Hey. Du bist ja noch spät unterwegs.“
„Entschuldige. Ich wollte dich nicht stören.“ Er zögerte. „Ich hätte nicht herkommen sollen. Du willst sicher schlafen. Tut mir leid.“ Er wandte sich zum Gehen.
„So war das nicht gemeint“, ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Komm rein. Du hattest einen anstrengenden Tag, da kann ich auch mal ein Stündchen später ins Bett gehen.“ Ich lächelte ihn an.
„Okay.“
Tom ging an mir vorbei in den Flur. Ich roch, dass er bereits das ein oder andere Bier getrunken hatte. Er tat mir leid. Der Tag musste sehr schwer für ihn gewesen sein. So eine emotionale Belastung glich einer sportlichen Höchstleistung. Am Ende des Tages war man am Ende. Alles tat weh, die Tränen waren aufgebraucht. Ich war aber auch neugierig, was ihn hergetrieben hatte. Er hätte sicher auch zu Freunden gehen können oder bei seiner Familie Trost gefunden.
„Komm rein. Möchtest du etwas trinken? Ich hab nicht viel da. Saft und Wasser … und Wein.“ Tom ging ins Wohnzimmer, stellte sich an die offene Balkontür und sah in die Dunkelheit hinaus.
„Wasser wäre gut. Danke.“
Ich holte zwei Gläser aus der Küche, nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich schenkte uns ein und setzte mich auf die Couch. Tom stand in Gedanken versunken am Balkon. Nach ein paar Minuten drehte er sich um und setzte sich ebenfalls auf die Couch. Er sah müde aus, erschöpft. Seine Augenringe verrieten, dass es ein langer Tag gewesen war. Niedergeschlagen und tieftraurig sah er mich an. Es war schwer einen guten Freund so leiden zu sehen. Ich konnte nichts weiter tun als für ihn da zu sein, aber das fiel mir nicht leicht. Ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeiten, als meine Familie mit der Trauer um ein Familienmitglied kämpfte. Jeder auf seine Weise. Es war immer anders, aber immer intensiv und schmerzhaft. Und so abgedroschen es klang, doch nur die Zeit half, wieder die schönen Seiten des Lebens zu sehen. Bis dahin war es aber noch ein weiter Weg.
Es brannte mir auf der Zunge zu fragen, warum Tom hier war, aber ich wusste nicht, ob das gut war. Schweigend sahen wir zu, wie die Bläschen im Wasser am Glas nach oben trieben.
„Danke, dass ihr heute Nachmittag da gewesen seid.“ Tom sah weiterhin mit leerem Blick auf sein Wasserglas.
„Dafür musst du dich nicht bedanken.“ Ich sah ihn an, studierte seinen Blick, den Kummer in seinen Augen.
„Es ist ein schöner Platz für die letzte Ruhe.“ Tom war so spät zu mir gekommen um zu reden, doch es war schwer, ein Gespräch in Gang zu bringen. Ich fühlte mich unsicher.
„Ja, das stimmt. Er mochte den Park.“ Wieder trat eine Pause ein. Ich griff nach meinem Glas und trank einen Schluck.
„Es waren viele Leute da. Dein Opa scheint sehr beliebt gewesen zu sein.“ Tom nickte.
„Wie geht es denn deiner Oma. Kommt sie zurecht?“ Ich traute mich kaum zu fragen.
Tom seufzte. „Sie hält sich tapfer. Heute war es natürlich noch mal sehr schlimm. Die Feier danach war anstrengend für sie. Sie ist jetzt bei meiner Ma und hat ein Beruhigungsmittel genommen. Die nächsten Wochen müssen wir das Haus verkaufen, ausräumen und ihr eine kleine Wohnung in der Nähe suchen. Das wird auch schwer werden. Aber es hilft ja nichts.“ Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Knien ab und rieb sich die Augen mit den Handflächen. Er seufzte.
„Habt ihr jemanden, der euch dabei unterstützt?“
„Nein. Wir müssen das irgendwie alleine machen. Das wird schon. Aber der meiste Kram wird wohl an mir hängen bleiben. Meine Ma kümmert sich um Oma. Wir haben ein bisschen Angst, dass sie sich jetzt hängen lässt. Da muss ich mich um die organisatorischen Dinge kümmern.“
„Ach Tom. Ich würde dir gern irgendwie helfen, aber das Chaos kann ich dir wohl nicht abnehmen.“
Tom lächelte. „Hey, ich darf mitten in der Nacht bei dir auf der Couch sitzen und dir die Ohren voll jammern.“
„Stimmt“, ich musste auch lachen. „Das ist eine wirkliche Glanzleistung von mir!“
„Sady, kann ich vielleicht doch einen Wein bekommen?“
„Klar.“ Froh, dass die Stimmung sich ein bisschen entspannt hatte, holte ich den Wein und ein weiteres Glas für Tom.
„Danke. Jetzt plündere ich auch noch deinen Alkoholvorrat.“
„Frechheit, Herr Kollege!“ Ich schüttelte lachend den Kopf. Vielleicht konnte ich Tom etwas ablenken von seinem Kummer, zumindest für kurze Zeit. Das würde ihm gut tun. Morgen im Büro würde ich das zwar bereuen, wenn mir der Kopf dröhnte und meine Augen vor Müdigkeit brannten, aber sei es drum.
Tom erkundigte sich nach der Agentur. Ich berichtete was momentan so auf dem Tisch lag, wie der aktuelle Stand unserer Projekte war und beruhigte ihn, dass sein Tisch noch nicht kurz vor dem Kollaps stand. Er fragte nach meinem Urlaub und ich schwelgte in Gedanken, holte Sonne, Strand, Meer, gutes Essen und viel Erholung in die dunkle Nacht zurück.
Ich öffnete eine weitere Flasche Wein. Inzwischen war es fast halb zwei. Tom hatte es sich auf der Couch gemütlich gemacht. Sein Kopf lag auf dem großen Kissen an der Rückenlehne, die Beine entspannt ausgestreckt.
„Tom …“, ich hielt kurz inne, „darf ich dich was fragen?“
„Klar.“
„Aber nicht falsch verstehen, ja?“
„Okay.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
„Hmm … warum bist du eigentlich heute Abend vorbei gekommen?“
Sein Gesicht wurde ausdruckslos. Die Entspannung wie weggeblasen. Mist!
„Sorry, ich weiß es ist spät.“ Tom setzte sich auf, stellte sein Weinglas ab.
„Hey, ich hab doch gesagt, nicht falsch verstehen! Ich bin nur neugierig. Du kannst bleiben so lange du willst.“
Tom atmete hörbar aus und ließ sich wieder nach hinten sinken. Ich sah ihn an, er schien weit weg zu sein. Toll, Sady! Prima gemacht!
„Ich musste einfach mal raus. Jemanden sehen, der nichts mit dem ganzen Scheiß zu tun hat.“ Er griff zum Glas und leerte es in einem Zug. War das Zorn, der anfing sich in seinen Blick zu schleichen?
Ich antwortete nicht. Wartete, dass er weiter erzählte. Als ich dachte, es käme nichts mehr, fuhr er fort. „Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Eine Last, die mich immer weiter nach unten drückt, die jeden Schritt und jeden Atemzug schwer werden lässt.“ Er sah mich an. „Verstehst du das?“
„Ja, sehr gut sogar.“
„Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich mal für ein paar Minuten nicht an den Tod und die ganze Situation denke sondern auch mal lache. Aber, hey! Mein Leben geht weiter. Ist das denn so schlimm? Ja, ich vermisse ihn und ja, ich habe Verständnis dafür, dass andere anders damit umgehen.“ Er war jetzt aufgestanden und lief wie ein Tiger im Käfig umher.
„Du musst damit umgehen, wie es für dich richtig ist. Da gibt es kein Falsch oder Richtig.“
„Das sagst du! Ich kann auch nicht alles regeln und nur noch für die Familie da sein! Und am Liebsten noch den ganzen Tag auf dem Sofa sitzen und alte Geschichten durchkauen. Zum tausendsten Mal! Davon kommt er auch nicht zurück.“
„Tom, beruhige dich. Vielleicht ist das der richtige Weg für deine Familie damit umzugehen. Sie merken nicht, dass dir das nicht gut tut.“
„Ach, ich soll also Verständnis haben, ja?“ Tom war laut geworden. „Ich habe immer Verständnis. Immer!“
„Aber Bee hat doch sicher Verständnis für dich.“ Tom funkelte mich böse an.
„Ja, hat sie“, sagte er scharf. „Von ihrem Hotelzimmer in Frankfurt aus hat sie riesiges Verständnis für mich!“ Ich sah ihn verblüfft an.
„Was macht sie denn in Frankfurt?“
„Sie hat ein wichtiges Seminar. Das man unmöglich absagen kann, nicht mal dann, wenn man einen Trauerfall in der Familie hat!“ Das erklärte natürlich einiges.
„Tom. Ich verstehe ja, dass du sauer bist. Aber vielleicht ging es wirklich nicht anders.“
„Ach, ich bitte dich! Da erwarte ich ein einziges Mal, dass sie etwas für mich tut und dann kann sie nicht mal dieses Seminar absagen! Was muss denn noch passieren, bis ihr Privatleben Vorrang hat?“
Ich sagte nichts dazu. Tom stand wieder an der offenen Balkontür und starrte hinaus. Ich sah, wie Wut und Zorn verblassten. Er rieb sich den Nasenrücken und seine Schultern fingen an zu zucken.
Ich stand auf und ging zu ihm, legte ihm eine Hand auf die Schulter. Das war es also gewesen. Er musste raus, brauchte jemanden, der für ihn da ist, der ihn mit seiner Trauer auffängt. Und der Mensch, von dem er das erwartet hatte, zog die Arbeit vor und war viele Hundert Kilometer weit weg in einem Hotel.
„Tom. Ist schon gut. Komm mal her.“ Tom drehte sich zu mir um. Tränen liefen ihm über das Gesicht, seine Augen waren tief schwarz. Es tat mir leid, ihn so verloren und erschöpft zu sehen.
„Es ist okay, dass du wütend bist.“ Eine dicke Träne saß an seinen Wimpern, löste sich und verschmolz mit den anderen auf seiner Wange.
„Komm, setzt dich wieder auf die Couch.“ Tom folgte mir wie ein trauriges kleines Kind, ließ sich auf die Couch fallen und verbarg sein Gesicht in den Händen. Ich setzte mich neben ihn, zog die Beine auf die Couch und lehnte mich zurück. Tom ließ sich zur Seite rutschen, so dass sein Kopf auf meinem Schoß landete.
„Ich bin so müde, weißt du? Ich vermisse ihn auch, sehr sogar. Aber ich bin auch froh, dass es vorbei ist und er nicht mehr leiden muss.“ Ich spürte wie warm sein Gesicht von den Tränen war. „Manchmal ist es alles zu viel. Jeder denkt, er kann seinen Mist bei mir abladen. Tom schafft das schon.“ Seine Stimme war rau und kraftlos. Ich strich ihm durch sein dunkles Haar. Es war ganz durcheinander. Wir saßen eine Weile so da, jeder seinen Gedanken nachhängend.
Ich musste eingeschlafen sein. Als ich aufwachte saß Tom neben mir und sah mich an, lehnte sich in die Kissen, den Arm auf der Rücklehne, den Kopf mit der Hand gestützt.
„Sorry, ich bin wohl eingenickt.“
Tom sagte nichts, sah mich nur an. Strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Er wirkte immer noch traurig, aber ruhig und ohne Zorn. Ganz friedlich.
Dann beugte er sich vor und küsste mich.

Chapter 16

Die Melancholie und Traurigkeit, die uns nachhing als wir den Friedhof verließen, klang im Laufe des Nachmittags ab. Jasmin und ich tranken in dem kleinen Café einen Kaffee und wärmten uns in der Sonne von der inneren Kälte. Kurz darauf verabschiedeten wir uns. Ich rief Maja an und fragte, ob ich sie aus dem Buchlädchen abholen sollte. Ich wollte heute einfach nicht allein sein. Am frühen Abend holte ich Maja ab. Sie hatte noch Kundschaft, daher stöberte ich ein wenig durch die Regale. Irgendeinen neuen Schmöker fand ich immer.
Wenig später schlossen wir das Lädchen ab und gingen auf einen Wein zu Luigi. Zum Glück hatte er eine tolle Terrasse, so dass wir die untergehende Sonne genießen konnten.
„Wie war es denn heute Nachmittag?“ erkundigte sich Maja nach der Beerdigung.
„Es war furchtbar! Irgendwie surreal. Einerseits war dieser Park traumhaft schön in der Nachmittagssonne, andererseits war die Trauer der Familie fast greifbar. Ich finde Regenwetter oder Schnee passt viel besser zu so einer Situation.“ Ich stützte meinen Kopf mit der Hand ab und sah Maja an.
„Das verstehe ich. Solche Momente müsste man aus dem Gedächtnis streichen können. Man möchte den Angehörigen helfen und kann es nicht. Egal was man sagt, es ist nie das Richtige.“
„Das stimmt.“ Schweigend nippten wir an unserem Wein als mir etwas einfiel.
„Aber weißt du was?!“
„Was?“ Maja machte große Augen.
„Bee war nicht da!“
„Wie, sie war nicht da?“
„Ja, ich weiß auch nicht. Ich hab sie jedenfalls nirgendwo gesehen. Schon komisch, oder? Die beiden sind doch schon so lange zusammen. Da geht man doch mit, oder nicht?“
„Eigentlich schon. Wer weiß, was da los ist.“
„Merkwürdig.“
Wir plauderten noch über ein paar Dinge, tranken unseren Wein aus und fuhren nach Hause.

Nach diesem Tag war ich ziemlich müde. Ein Stündchen auf der Couch vor dem Fernseher zum Abschalten wäre noch drin und dann ab ins Bett. Es war nur noch ein Tag, dann war Wochenende. Endlich. Die erste Woche nach meinem Urlaub war wirklich anstrengend gewesen. Es fühlte sich an, als lägen diese entspannten Tage auf Sylt nicht erst kurze Zeit zurück sondern bereits mehrere Wochen. So viel hatte sich ereignet seit unserer Rückkehr. Hoffentlich wurde es jetzt etwas ruhiger.
Ich ging ins Bad und machte mich bettfertig, schminkte mich ab, zog Shorts und ein T-Shirt an, goss mir ein weiteres Glas Wein ein und machte es mir auf der Couch gemütlich. In der Schublade der Anrichte fand sich auch noch etwas Schokolade.
Ich war kurz eingeschlafen, als es gegen elf Uhr an meiner Tür klingelte. Ich konnte das Geräusch erst nicht zuordnen und brauchte einen Moment, um mich zu orientieren. Es klingelte wieder. Ich erschrak. Wer konnte das sein um diese Zeit? War Maja etwas passiert? Nein, dann hätte sie vorher angerufen. Meiner Nachbarin vielleicht? Vielleicht war das auch nur ein Trick von Ganoven, die sich Zutritt zu meiner Wohnung verschaffen wollten. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Sady, welcher Einbrecher klingelt zwei Mal, bevor er die Mieterin überfällt? Ich schüttelte den Kopf. Das musste der Wein sein und meine Leidenschaft für gruselige Krimis, die mir bei Dunkelheit manchmal zum Verhängnis wurde.
Ich ging zur Tür und schaute durch den Spion. Dort stand niemand. Sollte ich die Tür öffnen? Ich gab mir einen Ruck und schloss die Wohnungstür auf. Niemand da. Ich schaute über das Geländer nach unten. Vor der Haustür stand Tom.