Chapter 21

Die folgenden Wochen waren nicht gerade meine glücklichsten. Ich versuchte noch ein, zwei Mal mit Tom zu sprechen, aber er blockte ab. In der Agentur war unser Verhältnis kollegial und sachlich, aber bei Weitem nicht mehr freundschaftlich. Man hätte meinen können, wir hätten kaum miteinander zu tun, würden uns nicht kennen. Mich nahm die Sache mehr mit, als ich gedacht hatte. Es hatte sich zwar nichts daran geändert, dass ich in Tom nur einen Freund sah, aber genau das war das Problem. Er war nicht mehr – aber auch nicht weniger. Er war nicht einfach nur ein Kollege, der sich jetzt plötzlich distanzierte. Ich verlor einen Freund.
Ich versuchte mich trotz allem in die Arbeit zu stürzen. Hoffte, dass ich dadurch den Spaß daran wieder fand. Anfangs war das auch ganz erfolgreich. Ich arbeitete bis spät in die Nacht, las Manuskripte, telefonierte mit Autoren, organisierte Lesereisen, übernahm Urlaubsvertretungen von Kollegen, die spontan den Spätsommer genießen wollten. Selbst Mr. P entging nicht, dass ich einen Zahn zulegte. Was nicht hieß, dass mich das in irgendeiner Form weiter brachte. Er nahm das lediglich zum Anlass mir noch mehr Arbeit aufzubrummen und ab und an einen süffisanten Kommentar abzugeben.
Die viele Arbeit verlangte aber nach einiger Zeit ihren Tribut und mit unterlief ein Fehler. Ich hatte einer Partneragentur einen Vertrag für einen ihrer Autoren zugeschickt, in dem ein falsches Honorar vermerkt war. Der Vertrag kam unterschrieben zurück – und das Kind war in den Brunnen gefallen. Mr. P tobte, ich versuchte alles, den Vertrag zu annullieren … was sich aber als vergeblich herausstellte. Es war keine schöne Sache, aber irgendwie würde die Agentur auch aus der Situation herauskommen. Notfalls war man gegen solcherlei Dinge versichert. Aber für mich hatte das unschöne Folgen. Mr. P hatte einen Tobsuchtsanfall nach dem anderen. Er ließ keine Möglichkeit aus, mir zu zeigen, wie unfähig ich doch war, meine Arbeit zu erledigen. Ich bekam nur noch langweilige Aufträge, die keiner machen wollte, Handlangerarbeiten. Schließlich war es nicht zu verantworten, mir wichtige Arbeiten anzuvertrauen. Zunächst ließ ich das einfach über mich ergehen. Ich wusste, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Das war nicht abzustreiten. Ich zog einfach den Kopf ein und hoffte darauf, dass sich die Lage mit der Zeit beruhigte. Als dies nicht eintraf, kroch ich langsam aus meinem Schneckenhaus hervor und fing an, darauf aufmerksam zu machen, dass meine Arbeit in den letzten Jahren durchaus gut war und ich nicht nur an einem – zugegebenermaßen großen – Fehler gemessen werden wollte. Das war ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich hoffte immer wieder wenigstens bei Tom Hilfe zu finden, aber er hielt sich da raus. Früher hätte er mit mir darüber gelästert, was für Lachnummern in der Agentur doch angestellt waren und dass die sich eines Tages noch alle wundern würden. Jetzt jedoch sagte er gar nichts dazu. Nur Jasmin kam ab und an und zeigte mir, dass auch sie nicht damit einverstanden war, wie man mich behandelte. Sie war aber noch sehr jung und wollte hoch hinaus. Logisch, dass sie es sich dann mit niemandem verscherzen wollte.

Als es wieder einmal soweit war, dass Projekte aufgeteilt wurden und ich nur zuarbeiten sollte, war ich endgültig frustriert. Mir war klar, dass sich etwas ändern musste. So konnte es nicht weitergehen. Nach Feierabend fuhr ich direkt zu Maja ins Buchlädchen, um sie auf einen Wein einzuladen. Wir wollten sowieso auf einen sehr erfolgreichen Lesemonat anstoßen. Die Veranstaltungen, die wir geplant hatten, waren sehr gut bei Majas Kundschaft angekommen, so dass bereits weitere für Dezember angesetzt waren. Auch die Zahl der Kunden war merklich gestiegen. Die Kinderlesevormittage an jedem zweiten Samstag hatte Maja beibehalten. Die Zwerge liebten den selbstgemachten Kuchen, den Majas Mutter spendierte, und waren immer mit Feuereifer dabei.
„Oh, hallo! Was machst du denn hier?“ Maja freute sich, dass ich spontan vorbei schaute.
„Ach, ich musste mal einen normalen Menschen sehen.“
„Auweia! Wieder die Agentur?“ Ich nickte.
„Ich brauche bestimmt noch ne Stunde, bis ich hier rauskomme. Aber meine Ma kommt gleich und bringt frischen Kuchen für morgen mit und da drüben gibt es einen großen Stapel neuer Bücher. Da kannst du dich ja beschäftigen.“
„Das mache ich. Wenn ich störe, sagst du aber Bescheid.“
„So ein Quatsch!“ Maja gab mir scherzhaft einen Klaps. „Ich kann nur nicht sofort los. Danach hab ich Zeit.“
Ich machte mich daran, die Neuerscheinungen zu durchstöbern. Kurz nach mir kam Helena, Majas Mama, ins Lädchen und mit ihr eine Duftwolke, die einem das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.
„Sady! Schön, dass ich dich auch mal wieder zu Gesicht bekomme!“ Sie drückte mich mütterlich an ihren großen Busen. „Du siehst nicht gut aus, Mädchen!“ Am liebsten hätte ich losgeheult. Aber ich war ja keine fünf mehr.
„Ach Helena. Momentan ist einfach alles doof. Aber das wird schon wieder.“ Helena tätschelte mir den Arm. „Was hast du denn für Kuchen gebacken? Der durftet fantastisch!“
Helena musste lachen.
„Wenigstens daran hat sich nichts geändert. Du bist noch genauso eine Naschkatze, die Kummer mit Kuchen und Schokolade bekämpft, wie früher.“
„Ja, aber früher waren die Probleme damit dann auch weg …“
„Dann bekommst du jetzt ein extra großes Stück. Das hilft bestimmt.“
Majas Ma packte drei verschiedene Kuchen aus. Einer sah besser aus als der andere und alle dufteten sie himmlisch! Ich bekam ein ordentliches Stück Schoko-Kirsch. Es war – wie nicht anders zu erwarten – sehr, sehr lecker. Ich fühlte mich tatsächlich um einiges besser.
„Na siehst du, jetzt kannst du sogar wieder lächeln! Ihr bleibt doch immer kleine Mädchen! Was würdet ihr nur ohne eure Mamas tun?“ Ich lachte sie an.
„Das weiß ich auch nicht!“
Wenig später kam auch Maja dazu. Sie hatte den Laden abgeschlossen und sah geschafft aus. „Oh! Schoko-Kirsch! Ich will auch eins!“
„Noch so ein kleines Mädchen!“ Helena schüttelte lachend den Kopf und holte einen zweiten Teller.
„So, wenn du aufgegessen hast, könnt ihr gehen. Den Rest mache ich. Ihr seht so aus, als könntet ihr einen Schluck Wein vertragen.“
„Ach Mama! Du musst hier nicht die Putzfrau spielen! Ich mach das schon noch heute Abend.“
„Keine Widerrede!“ Wenn Helena das sagte, war jeder Widerstand zwecklos. Also klaubten wir die letzten Krümel von unseren Tellern und machten uns auf den Weg zu Majas und Bens Wohnung. Ben war bis Ende der Woche auf Geschäftsreise, so dass wir die Wohnung für uns hatten.
Maja machte gemütliches Licht an, holte Gläser aus dem Schrank und öffnete eine Flasche Wein.
„So, nun erzähl mal was los war.“
Ich berichtete ihr, was geschehen war. Dass ich mal wieder kein eigenes Projekt bekommen hatte, Mr. P selbstverständlich darauf hinweisen musste, dass es Kollegen gibt, denen man verantwortungsvolle Arbeit nicht übertragen konnte, und so weiter, und so weiter.
Maja seufzte.
„Ganz ehrlich, Sady. Ich bezweifle, dass sich an der Situation noch viel ändern wird.“
Auch mir war das inzwischen klar geworden.
„Aber was soll ich denn dann machen? Solche Jobs liegen ja nicht auf der Straße herum.“
„Du wolltest dich doch eh umorientieren. Vielleicht was ganz anderes machen. Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dafür.“
Maja hatte recht, aber sich Gedanken zu machen, was man theoretisch alles anders machen wollte, Luftschlösser zu bauen, zu fantasieren … das war etwas ganz anderes, als es dann wirklich in Angriff zu nehmen.
„Ich weiß nicht. Was wenn es nicht funktioniert. Und was genau sollte ich machen? Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll …“
„Du hast doch noch so viel Urlaub über. Warum fährst du nicht weg? Dann könntest du Abstand gewinnen, dir Gedanken machen, was du genau willst und dich erkundigen, wie du das umsetzen kannst.“
Ich überlegte.
„Das wäre eine Möglichkeit. Aber wo soll ich denn hin? Wir haben Anfang Oktober und in den warmen Ländern ist es mir zu teuer. Und dann auch noch alleine!“
„Du könntest Paula in London besuchen. Sie wohnt da zwar erst seit 3 Wochen, aber das macht ihr bestimmt nichts aus.“
Wir hatten Paula und ihre Mutter Jutta auf Sylt kennengelernt. Damals wartete Paula noch sehnsüchtig auf eine Zusage für einen Job als Ärztin in einem Londoner Krankenhaus. Kurz nach unserem Urlaub haben wir vier uns auf einen Wein in Hamburg getroffen und sie hatte berichtet, dass sie tatsächlich nach London gehen würde. Ich liebte diese Stadt und es wäre eine willkommene Abwechslung. Ich wusste, dass Paula mit Heimweh zu kämpfen hatte. Sie wollte erst Weihnachten wieder nach Deutschland zurück kommen und vielleicht konnte ich ihren Abschiedskummer etwas erleichtern.
Ich entschied, ihr noch heute Abend eine Mail zu schicken und sie zufragen, was sie davon hielt.

Eine Woche später stand ich am Flughafen, Gepäck für drei Wochen dabei und wartete darauf, dass mein Flug aufgerufen wurde. Maja saß neben mir und war ein bisschen traurig – weil sie nicht mitkommen konnte und weil wir uns nun drei lange Wochen nicht sehen würden.
„Bestell Paula liebe Grüße. Und schlepp mir ja keinen rothaarigen Inselmenschen an, den du dann heiraten willst. Verstanden?! Ich will nicht ständig zwischen Hamburg und London pendeln müssen.“
Ich knuffte sie in die Seite.
„Ich hab grad wirklich andere Dinge im Kopf, als mir einen Kerl dort anzulachen.“
Die Anzeige sprang um und zeigte das Gate, zu dem ich musste. Ich verabschiedete mich von Maja und machte mich auf den Weg.

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