Chapter 25

Zum Glück waren in so großen Städten wie London auch sonntags einige Geschäfte geöffnet, so dass wir für das spontane Picknick unseren Teil einkaufen konnten. Sam und Josh waren auch mit von der Partie. Ich hatte Jeremy noch einmal angerufen und ihn gefragt, ob es okay wäre, wenn noch zwei weitere Leute mitkämen. Er lachte nur und war verwundert, ob das in Deutschland denn so eng gesehen würde. Selbstverständlich waren auch Sam und Josh herzlich willkommen.
Wir fuhren bis Marble Archway Station und schlenderten dann bei strahlendem Sonnenschein ein gutes Stück in den Hyde Park hinein. Überall waren Menschen mit Picknickdecken verteilt. Väter spielten mit ihren Kindern fangen, Freundinnen sonnten sich auf einer Decke, hier und da wurde Ball gespielt. Der Park war so weitläufig, dass selbst bei so vielen Besuchern für jeden ausreichend Platz war.
„Wie weit müssen wir denn noch?“ Vor lauter Menschenbeobachten hatte ich ganz vergessen nach Jeremy Ausschau zu halten.
„Oh, ähm. Ich hab keine Ahnung.“ Ich rief Jeremy an und wir telefonierten uns zusammen. Er war mit einer Gruppe von ca. 10 Leuten unterwegs. Wir stellten uns gegenseitig vor und schnell hatten sich unsere Grüppchen miteinander vermischt. Es war eine sehr entspannte Atmosphäre. Da alle mehr als genug Leckereien dabei hatten, artete das Picknick in ein Festmahl aus. Es dauerte nicht lange und wir Mädels lagen lachend und klönend auf den Decken, während die Männer Fußball spielten.
„Paula, am Liebsten würde ich hier bleiben.“ Paula lag neben mir auf der Decke und genoss die Sonne.
„Das glaub ich gerne. So könnte es jetzt ewig weitergehen.“
„Ich meine das ernst. Nicht nur weil wir heute so viel Spaß haben und nette Leute kennengelernt haben. Die Stadt ist einfach toll. Ich fühle mich hier wohl. Irgendwie ist es ganz anders als zu Hause.“ Paula sah mich nachdenklich an.
„Das ist bestimmt nur so, weil du dich zu Hause gerade nicht gut fühlst.“
„Das mag sein. Aber London hatte schon immer eine magische Anziehungskraft auf mich. Aber … du hast Heimweh, oder?“
Paula ließ sich wieder auf die Decke sinken.
„Irgendwie schon. Ich vermisse meine Freunde, das Vertraute. Hier ist alles fremd. Der Job, die Kollegen, die Stadt, die Kultur, die Sprache. Einfach alles. Total blöd, aber damit hatte ich nicht gerechnet.“
„Das ist ganz normal. Du bist das erste Mal länger von zu Hause weg. Da ist das am Anfang so. Sieh zu, dass du bald mal zu deiner Mama fliegst. Das tut gut, wenn du merkst, dass der Kontakt nicht weg ist und du theoretisch jederzeit zu ihr fliegen kannst.“
„Hmm. Meinst du? Ich wollte eigentlich erst Weihnachten nach Hause.“
„Schieb ein kurzes Wochenende ein. Du wirst sehen, der Abschied wird dir dann zwar extrem schwer fallen, aber hier wird es dann einfacher. Es dauert erfahrungsgemäß drei Monate, bis das schlimmste Heimweh vorbei ist.“
„Also bis Weihnachten ungefähr.“
„So in etwa. Warum guckst du nicht nach einem Flug. Vielleicht können wir zusammen zurück fliegen und du bleibst 2 Tage. Dann ist es auch nicht mehr lange bis Weihnachten. Also nur kurze Strecken zu überbrücken.“
„Oh man, gleich heule ich hier los. Das ist unglaublich! Ich bin Ende zwanzig und hab Heimweh!“ Sie musste lachen.
„Heimweh hat doch nichts mit dem Alter zu tun!“ Ich knuffte sie in die Seite. „Überleg es dir. Das hat nichts mit Kapitulation oder Versagen zu tun. Du musst dir das Leben nicht unnötig schwer machen.“
„Vielleicht hast du recht.“
„Und der erste Schritt ist getan. Wir haben heute viele neue Leute kennengelernt. Mit dem ein oder anderen kannst du dich bestimmt mal wieder treffen. Und der Rest geht dann von ganz allein. Wirst sehen. Schwuppdiwupp hast du viele neue Leute kennengelernt.“
Paula seufzte.
„Wie lange hast du denn den Job hier?“
„Der ist für zwei Jahre befristet. Am Anfang dachte ich - wie nur zwei Jahre? - und jetzt weiß ich nicht mal, wie ich es bis Weihnachten aushalten soll!“
„Ich versteh das sehr gut. Mir ging das am Anfang ähnlich. Also alles ganz normal. Als ich dann am Ende meines Jahres nach Deutschland zurück musste, konnte ich mich kaum trennen – und brauchte dann wieder drei Monate, um mich in Deutschland einzugewöhnen.“
„Was, echt jetzt?“ Paula sah mich entsetzt an.
„Ja, aber das ist anders als das was du jetzt erlebst. Alle erwarten, dass du noch die gleiche bist, aber das ist nicht so und alle finden es nervig, dass du nur noch von London erzählst. Aber das gehört nun mal zu deinem Leben dazu. Dort hast du die letzten Monate verbracht. Aber auch das überlebt man.“
„Das war mir nicht bewusst, als ich unbedingt hier her wollte.“
„Aber eigentlich gefällt dir doch die Stadt und die Mentalität, oder?“
„Ja, eigentlich schon. Meine Arbeit macht mir auch total viel Spaß. Die Kollegen sind nett. Es ist eben alles nur so anders.“
„Du schaffst das, ganz sicher!“
„Ich hoffe es.“
„Klar! Gefällt dir denn keiner von den Männern, die hier herumspringen?“
„Was? Wie kommst du denn jetzt darauf?“
„Wenn man jemanden kennenlernt, den man mag – ich rede jetzt im Speziellen von einem Mann – dann geht das Heimweh viel schneller vorbei. Glaub mir.“ Ich grinste sie an.
„Ist das jetzt die Retourkutsche, ja?“
„Na, was denkst du denn? Dass du hier einfach so davon kommst? Nein, ich meine das ernst. Niemand dabei?“
„Ich weiß nicht …“
„Okay, war auch nur so eine Idee …“
Wir verbrachten einen sehr schönen Nachmittag im Hyde Park. Das Picknick war sehr lecker und Paula ließ sich von ihrer kurzzeitigen Melancholie nicht unterkriegen.
Als am frühen Abend die Sonne immer tiefer sank und es langsam frisch wurde, räumten wir zusammen.
„Jeremy, vielen Dank für die Einladung. Ihr seid wirklich eine super Truppe.“
„Ich habe mich gefreut, dass ihr gekommen seid. Das müssen wir unbedingt wiederholen.“
„Sehr gerne.“
„Hast du Lust, dass wir uns nächste Woche auf einen Kaffee treffen?“
„Gerne. Ich hab ja nicht so wirklich was vor. Wir könnten uns wieder in dem Café treffen? Vielleicht in deiner Mittagspause?“
„Eine sehr gute Idee. Lass uns doch einfach Anfang der Woche noch einmal telefonieren.“
Wir verabschiedeten uns von allen und brachen auf.

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