Chapter 26

Die Woche plätscherte gemütlich dahin. Ich hatte das Wochenende, die neuen Bekanntschaften, die Stadt selbst sehr genossen. Langsam wuchs in mir der Wunsch, meinen Aufenthalt zu verlängern. Das ging natürlich nicht, mein Jahresurlaub war so gut wie aufgebraucht, ich musste zurück nach Hamburg, zurück in die Agentur. Es gab dort einiges zu klären. Allein der Gedanke daran deprimierte mich. Ich war mir inzwischen sicher, der Agentur den Rücken zu kehren. Es gab dort einfach kein Weiterkommen für mich. Jetzt da die Entscheidung gefallen war, wollte ich keine Zeit mehr verlieren. Ich würde die Kündigung so schnell wie möglich einreichen. Was bedeutete, dass ich bis Ende Februar wissen musste, wie es danach weitergehen sollte. In der Hinsicht war ich keinen Schritt weiter gekommen. Ich zögerte noch immer, mich an den Gedanken zu wagen, es ganz allein zu probieren. Ohne lästige Chefs. Ganz nach meinen Wünschen zu arbeiten. Die Alternative wäre, wieder in einer Agentur zu arbeiten.
Ich beschloss heute zu Hause zu bleiben, mich an Paulas Rechner zu setzen und die Jobbörsen zu durchforsten. Ich kochte mir einen heißen Tee, stöberte im Schrank leckere Muffins auf und machte mich auf die Suche nach meiner beruflichen Zukunft. Drei Stunden lang las ich Stellenanzeigen, Jobprofile, informierte mich über Agenturen, Agenten usw., usw. Nichts hatte mich wirklich angesprochen. Natürlich gab es einige sehr interessante Möglichkeiten. Die ein oder andere Agentur hätte mich noch vor zwei Jahren hibbelig hier auf dem Stuhl hin und her rutschen lassen. Aber leider heute nicht. Ich war frustriert. Es konnte doch nicht so schwer sein, sich für etwas Neues zu begeistern! Waren meine Ansprüche zu hoch? Waren diesen gerechtfertigt? Was waren eigentlich meine Ansprüche. Vielleicht lag es einfach nur daran, dass ich noch immer nicht wusste, was ich genau wollte.
Das Klingeln meines Telefons riss mich aus meinen Grübeleien. Verstimmt ging ich ran.
„Hi Sady, Jeremy hier. Du hörst dich ja nicht gut an. Störe ich?“
„Oh, hi Jeremy. Nein, ganz und gar nicht. Ich zerbreche mir gerade den Kopf über einen neuen Job und stecke irgendwie fest.“
„Klingt nicht gut. Dann passt es aber vielleicht ganz gut, ich wollte fragen, ob du heute Abend Lust hast mit mir Essen zu gehen?“
Ich zögerte. Ich war gerade total schlecht drauf, mir war nach einer heißen Wanne, einem Buch, Couch. Einfach einrollen und einigeln.
„Hmm … eigentlich hab ich Zeit.“
Jeremy lachte. „Du weißt grad nicht, ob du dich lieber unter der Couch verkriechen sollst oder es wagen kannst heute noch unter Leute zu gehen, richtig?“
Jetzt musste auch ich lachen. „Richtig.“
„Okay, dann verkriech dich bis heute Abend und dann gehen wir gemütlich etwas essen. Dann kannst du beides haben.“
„Haha!“ Er hatte es geschafft, dass meine Laune wieder besser wurde. „Ja, du hast recht. Dann lass uns heute Abend treffen.“
Wir verabredeten Ort und Zeit.
„Und falls es dir doch extrem gut unter der Couch gefällt, dann kannst du ja noch Bescheid geben, dass es heute Abend nichts wird. Vielleicht schicke ich dir dann Essen dort hin. Aber ich werde mich dort nicht dazugesellen.“
„Du bist aber verständnisvoll!“
„So bin ich. Bis später!“

Nach einem gemütlichen Nachmittag hatte ich mich für das Treffen mit Jeremy fertig gemacht. Wir waren an der U-Bahn Leicester Square verabredet. In Soho gab es einige sehr nette Restaurants und Jeremy hatte dort eines vorgeschlagen.
Als ich aus der U-Bahn-Station kam, schlug mir kalte, feuchte Luft entgegen. Zu Beginn der Woche hatte das Wetter umgeschlagen. Der Herbst zeigte sich nun von seiner ungemütlichen Seite. Ich schlug den Kragen meiner Jacke hoch und verkroch mich so gut es ging hinter meinem Schal. Ich war so damit beschäftigt, die Menschen zu beobachten, die geschäftig die Straße hoch und runter hasteten, den Kopf zwischen den Schultern, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass Jeremy neben mir stand. Ich erschrak als ich zur Seite blickte und ihn neben mir entdeckte. Er lächelte mich an.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Du warst aber weit weg mit deinen Gedanken.“
„Wie lange stehst du denn schon hier?“
„Ein paar Minuten.“
„Und lässt mich hier frieren!“ Wir begrüßten uns lachend.
„Na dann lass uns mal ins Warme gehen. Ich will ja nicht Schuld sein, wenn du dich erkältest.“
Ich hakte mich bei Jeremy unter und ließ mich durch das belebte Soho führen. Plötzlich blieben wir vor einem modernen Lokal stehen. Es war eine Mischung aus Bar und Restaurant, wirkte modern aber durch das gedämpfte Licht sehr gemütlich. Wir traten ein und wurden von wohliger Wärme empfangen. Wir suchten uns einen Tisch in Fensternähe.
„Wow, sehr chic hier.“
„Gefällt es dir? Ich bin sehr gerne hier. Die Bar gehört einem Freund von mir.“
„Es gefällt mir sehr gut! Nicht zu modern aber doch stylisch. Und natürlich sehr zentral gelegen. Wenn jetzt noch das Essen lecker ist, dann ist es perfekt.“
„Dann sollten wir gleich etwas bestellen, damit du dich davon überzeugen kannst.“
Die Speisekarte war klein aber fein. Wir entschieden uns für einen Antipasti-Teller als Vorspeise, üppigen Salat und danach eine Käseplatte und Oliven. So klein die Auswahl an Speisen war, so groß die an Weinen.
„Jeremy, ich hab keine Ahnung, was für Wein ich nehmen soll. Kennst du dich damit besser aus?“
„Sag du die Farbe, ich suche dann etwas raus.“
„Rot wäre gut, gerne halbtrocken und fruchtig.“
Jeremy lachte. „Ah ja, aber genaue Vorstellungen hast du.“
„Natürlich. Aber wenn du mir jetzt mit Anbaugebieten, Rebsorten und solchem Zeug kommst, dann muss ich leider passen. Ich merke mir dann, wie der Wein hieß, wenn er lecker war und das muss dann reichen.“
„Klingt vernünftig.“
Jeremy bestellte einen libyschen Wein und er traf genau meinen Geschmack.
„Wow. Da hat man ja das Gefühl, man hat die Trauben selbst im Mund!“ Ich war wirklich begeistert.
„Puh, da hab ich ja Glück gehabt und den richtigen ausgesucht.“
Auch das Essen war ausgesprochen köstlich. In diesem Lokal war ich mit Sicherheit nicht das letzte Mal gewesen. Ich musste es unbedingt Paula empfehlen.
„Bist du denn mit dem Grübeln heute vorangekommen?“
„Ich hab es dann aufgegeben, nachdem du angerufen hattest. Irgendwie komme ich da momentan keinen Schritt weiter.“
„Was bereitet dir denn solches Kopfzerbrechen?“
„Ich weiß auch nicht. Dass ich in der jetzigen Agentur nicht bleiben werde, tja, die Entscheidung ist gefallen. Ich muss mir jetzt also klar werden, was ich ab März machen möchte. Aber ich weiß es einfach nicht. Ich habe heute nach Jobs gesucht, in anderen Agenturen und Unternehmen. Da waren einige spannende Sachen dabei, aber irgendwie hat mich nichts davon so richtig vom Hocker gerissen.“
„Du hast letzte Woche erzählt, dass du darüber nachdenkst, dich selbständig zu machen. Wäre doch jetzt ein passender Zeitpunkt, oder?“
„Eigentlich schon. Aber ich weiß nicht. Es ist auch mit einigen Risiken verbunden. Und so ganz sicher bin ich mir auch nicht, in welche Richtung es dann gehen sollte.“
„Okay, die Grundidee müsstest du schon haben. Dann kannst du auch das Risiko besser kalkulieren. Solche Ideen kann man nur realistisch betrachten, wenn man sich Hilfe sucht bei jemandem der dir genau erklärt, welche Kosten auf dich zukommen, welche Unterstützung und Förderung es gibt und natürlich wie realistisch dein Vorhaben ist in Hinsicht auf Erfolg.“
Ich seufzte. „Ich weiß. Aber ohne ein fundiertes Konzept kann mir da auch keiner zu diesen ganzen Sachen Auskunft geben.“
„Das stimmt allerdings. Hast du denn so gar keine Idee? Wie kommst du denn dann überhaupt darauf, dich selbständig zu machen?“
„Es gibt drei, vier verschiedene Hobbies beziehungsweise meine jetzige Arbeit. Aber nichts davon würde ausreichen, um mir allein den Lebensunterhalt zu sichern. Zumindest nicht zu Anfang.“
„Und die lassen sich nicht miteinander kombinieren? Das ist ja das Schöne am freien Arbeiten, dass du verschiedene Dinge miteinander kombinieren kannst.“
„Aber die haben alle so gar nichts miteinander zu tun.“
„Na und?! Dann betrachte es einfach wie zwei verschiedene Halbtagsjobs. Ist doch toll, sofern sich das zeitlich entsprechend aufteilen lässt.“
„So hab ich das noch gar nicht gesehen.“
„Was sind das denn für Ideen?“
„Auf der einen Seite würde ich schon gerne in meiner jetzigen Branche weiter arbeiten. Also Autoren betreuen und alles was da so dazu gehört. Andererseits habe ich total viel Spaß daran meine Wohnung neu einzurichten, mit Farbe zu experimentieren, mit Schrift, Kissen, Dekoelementen. Viele Freunde haben sich dabei schon von mir beraten lassen und waren überrascht, was sich mit wenigen Mitteln bereits verändern lässt. Letzten Winter habe ich dann angefangen zu nähen und finde es total toll, Kissen, Vorhänge und solche Sachen passend zu anderen Wohnelementen zu nähen.“
„Das klingt doch ganz gut. Vielleicht ließe sich neben der Hauptarbeit als Lektorin noch Inneneinrichtung im weitesten Sinne einbinden. Das Ganze muss ja auch nicht 50/50 sein. Und wenn du nur anbietest, dass du Farbkonzepte entwirfst und möglicherweise die passenden Kissen, etc. dazu kreierst. Was meinst du?“
„Das klingt gut. Darüber werde ich mir mal noch ein paar Gedanken machen.“ Jeremy schenkte uns Wein nach.
„Danke Jeremy! Also nicht für den Wein. Danke, dass du dir das anhörst und dir solche Gedanken machst. Wir kennen uns eigentlich kaum und ich lade meine Sorgen bei dir ab, ich –“
„Sady, du lädst deine Sorgen nicht bei mir ab. Ich habe danach gefragt. Und wenn ich dir helfen kann, dann ist das doch gut. Du bist schließlich hierher gekommen, um dir klar zu werden, wie es weiter gehen soll. Hilfe ist dabei doch nicht verboten, oder?“
„Nein, natürlich nicht, nur …“ Jeremy nahm meine Hand.
„Bei manchen Menschen ist es egal, wie lange sie sich kennen. Es war einfach der richtige Moment, in dem wir uns getroffen haben. Mach dir nicht so viele Gedanken darüber.“
„Vielleicht hast du recht.“
„So, und nun lass uns anstoßen. Es freut mich, dass wir uns getroffen haben.“
„Das freut mich auch.“
Jeremy hatte recht. Manchmal hatte man einfach Glück und lernte im richtigen Moment den richtigen Menschen kennen. Ich sollte das nicht in Frage stellen sondern einfach als glückliche Fügung hinnehmen. So etwas passierte schließlich nicht oft.

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