Chapter 14

Das Wochenende verbrachte ich in Urlaubslaune. Am Tag lachte die Sonne von einem stahlblauen Himmel und verwöhnte uns. Die Nächte waren lau, so dass ich lange mit einem Glas Wein auf dem Balkon saß und dann bei weit geöffnetem Fenster schlief. Ich genoss diese faulen Tage und verdrängte jeden Gedanken an die Agentur erfolgreich. Es hätte ewig so weiter gehen können. Doch auch die schönste Zeit hatte einmal ein Ende. Und so riss mich der Wecker Montagmorgen viel zu früh aus meinen Träumen. Ich blieb noch eine Weile liegen, schaute aus dem Fenster in den hellblauen Himmel, hörte den Nachbarn zu, wie sie die Türen schlossen und sich auf den Weg zur Arbeit machten.
Wäre ich nur im Bett geblieben, eingehüllt in meiner Urlaubswelt mit nach Sommer duftenden Gedanken.

Der erste Tag zurück im Büro war meist eigenartig. Einerseits war es ganz schön, alle wiederzusehen und in die gewohnte Betriebsamkeit einzutauchen, andererseits war der Reise weg vom Alltag immer viel zu kurz. Ich versuchte mir meine Entspannung zu bewahren und meine Kollegen nicht mit schlechter Laune zu ärgern. Sie konnten ja nichts dafür, dass sich das Rädchen während meiner Abwesenheit ganz normal weiter gedreht hatte und ich noch nicht bereit war, wieder aufzuspringen.
Ich ging zu Tom ins Büro. Ich hatte ihn den ganzen Morgen noch nicht gesehen. Auf seinem Tisch stapelten sich Ordner und Unterlagen, aber von ihm keine Spur.
„Tom ist die Woche krank.“ Jasmin kam herein, um sich einige Unterlagen rauszusuchen. Ein Ziehen in der Magengegend machte sich breit.
„Was hat er denn?“ fragte ich.
„Weiß ich nicht. Irgendwas mit der Familie, glaub ich.“ Oh nein! Sein Opa!
„Und er hat nichts weiter gesagt?“ bohrte ich nach.
„Du, ich hab nicht mit ihm gesprochen. Er hat wohl nur Karin angerufen und sich krankgemeldet.“ Aus Karin würde ich kein Wort rausbekommen. Die Assistentin von Mr. P konnte geschwätzig sein wie ein Waschweib, aber manchmal war sie einfach nur biestig und tat so als wäre sie die Firmenpolizei und müsste alle Informationen vor den anderen Mitarbeitern beschützen.
Jasmin sah mich fragend an. „Weißt du was da los ist? Er war ja in letzter Zeit auch nicht so gut drauf.“
„Nee, auch nicht so genau“, versuchte ich abzulenken. „Wer weiß.“
Sollte ich ihn anrufen? Aber was, wenn es seinem Opa wirklich sehr schlecht ging, dann störte ich womöglich nur.
Ich entschied mich, am Abend anzurufen. Da wäre er sicher nicht mehr im Krankenhaus. Ich könnte auch Bee anrufen und nachfragen. Wir hatten bisher zwar nicht sehr viel miteinander zu tun gehabt, aber sie war eigentlich ganz nett und durch Zufall hatte ich auch ihre Telefonnummer. Wir waren an einem Wochenende zum Kanufahren verabredet gewesen und Tom und Bee hatten sich irgendwie verfranst und den Treffpunkt nicht gefunden. Da hatte er mich von ihrem Telefon aus angerufen.
Wenn ich ihn heute Abend nicht erreichen würde, wäre das eine Möglichkeit herauszubekommen, wie schlimm die Situation war.

Gegen Mittag setzte ich mich mit Jasmin zusammen und wir gingen die Geschehnisse der letzten Woche durch. Es war nichts Nennenswertes passiert, keine Dramen, keine großartigen Erfolge. Daher brauchten wir nicht lange und ich war schnell wieder allein in meinem Büro. Die gute Laune und die Erholung des Urlaubs waren einem unguten Gefühl gewichen. Ich machte mir Sorgen um Tom. Die ganze Situation um seinen Opa nahm ihn sehr mit. Eigentlich wäre es dem alten Herrn zu wünschen, dass er bald friedlich einschlafen würde und keine Qualen leiden müsste. Dass er nicht erleben müsste, wie er von fremden Menschen gewaschen und gepflegt wird. Dass er in Würde gehen konnte.
Ich seufzte und machte mich wieder an die Arbeit. Am Nachmittag rief mich Maja an, um mir zu erzählen, dass wir noch weitere Zusagen für den Lesemonat erhalten hatten. Ich freute mich mit ihr und berichtete ihr von Tom.
„Oh, das klingt nicht gut. Aber vielleicht will er auch nur seine Mutter unterstützen oder sowas.“ Maja hatte recht. Vielleicht malte ich mir auch nur übertriebene Horrorszenarien aus. Vielleicht waren Arbeit und Familie momentan ein bisschen viel und er brauchte Zeit, um Kraft zu tanken.

Gegen neun Uhr klingelte mein Telefon. Tom. Ich hatte früher am Abend versucht ihn zu erreichen, aber sein Handy war abgeschaltet. Ich hatte dann doch nicht Bee angerufen, das schien mir zu dramatisch.
„Hallo Tom! Wie geht es dir? Ich hab gehört, du bist krank.“
„Sady …“ Seine Stimme klang müde, kraftlos. „Es geht so.“
Ich wusste nicht, ob ich nachhaken sollte.
„Mein Opa. Er ist Freitag gestorben.“ Ich schluckte. Also doch. Wie reagierte man jetzt angemessen? Ich wusste genau, wie Trauer sich anfühlte, welche Stadien man durchlief. Und doch wusste ich nicht was ich sagen sollte. Warum hatte ich angerufen? Ich hätte hinfahren sollen! Mein Magen zog sich zusammen.
„Oh Tom! Das tut mir so leid.“ Er atmete schwer und schluckte. Er bemühte sich, die Fassung zu bewahren.
„Es ist besser so für ihn“, sagte er und räusperte sich.
„Und trotzdem ist es schlimm.“ Eine Pause entstand.
„Kann ich dir irgendwie helfen? Soll ich in der Agentur Bescheid geben?“
„Das wäre gut.“
„Gut. Mach dir keine Sorgen wegen der Arbeit. Das bekommen wir alles hin. Kümmere du dich um deine Familie. Das ist jetzt wichtiger.“
„Hmm.“ Ich konnte seinen Schmerz beinahe fühlen. Und doch konnte ich ihm nicht helfen.
„Tom …“
„Hmm?“
„Du weißt, du kannst jederzeit anrufen, wenn was ist.“
„Ja.“
Pause.
„Gut, ähm, dann …“, ich seufzte.
„Die Beerdigung ist am Donnerstag.“ Toms Stimme war rau, so als hätte er sie lange nicht benutzt.
„Okay.“ Mensch Sady, sag irgendwas!
Pause.
„Ich muss jetzt Schluss machen.“
„Ist gut.“
„Tschüß.“ Tom legte auf.
Ich legte das Telefon neben mich und rollte mich auf der Couch zusammen. Obwohl es draußen noch um die 20 Grad hatte, war mir kalt.

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