Chapter 5

Müde schloss ich die Tür zu meinem Büro auf. Das angenehme Sommergewitter hatte sich in der Nacht zu einem ordentlichen Unwetter entwickelt. Unsanft war ich gegen vier Uhr aus meinen Träumen gerissen worden und hatte dann Schwierigkeiten wieder einzuschlafen. Als dann gegen sieben Uhr der Wecker klingelte war ich noch so tief im Schlaf versunken, dass das Aufstehen eine Qual war. Die Wolken hingen tief über der Stadt und drückten auf die Stimmung. Nieselregen und frische Temperaturen ließen das sommerliche Wochenende in weite Ferne rücken.
Ich hängte meine Jacke auf den Bügel, packte frisches Obst in eine Glasschale und schaltete den Rechner an. Eine Tasse schwarzer Tee mit Milch würde jetzt sicher gut tun. In der Küche traf ich auf Tom.
„Hey Tom. Wie war dein Wochenende? Hat dich Bee wieder aufs Land verschleppt?“ fragte ich während ich den Wasserkocher anstellte.
„Nein, ich war auf Balkonien“, sagte er recht einsilbig. Ich schaute auf und sah ihn fragend an.
„Was?“ blaffte er mich an.
„Wow, da hat ja jemand gute Laune!“
„Bei dem Wetter …“ knurrte er. Tom nahm seinen Kaffee und ging in sein Büro.
Irgendetwas stimmte da nicht. Er war schon die letzten Tage grummelig über die Flure geschlichen, arbeitete bis spät in die Nacht und hatte kaum Zeit zum Plaudern.
Ich kochte meinen Tee auf, ließ eine Tablette Süßstoff in die Tasse fallen und goss Milch dazu. Auf dem Weg zurück in mein Büro blieb ich kurz an Toms Tür stehen.
„Wollen wir heute zusammen Mittag essen?“ fragte ich und lächelte ihn entschuldigend an.
„Keine Zeit.“ Hier stimmte irgendwas absolut nicht.
„Schade. Sag Bescheid, wenn du es dir anders überlegen solltest … oder einfach nur mal reden möchtest.“ Ich wartete noch einen Moment und ging in mein Büro.
Ich öffnete mein Outlook und machte mich an die Arbeit, vertiefte mich in ein Manuskript, das neu angekommen war. Es las sich recht gut. An der einen oder anderen Stelle müsste nachgearbeitet werden, aber es war nicht schlecht. Kurz vor elf erhielt ich eine Mail von Tom. Tut mir leid wegen heute Morgen. Hast du Lust auf Pasta? Tom. Was für eine Frage! Ich hatte immer Lust auf Pasta. Tom wusste das. Ich hole dich 12 Uhr ab. Sady.

„Einmal Pasta mit Gorgonzola und Spinat bitte und einmal Pasta Funghi.“ Tom und ich saßen bei unserem Lieblingsitaliener. Ich hatte einen Tisch ausgesucht, der etwas versteckt war. Um diese Uhrzeit wimmelte es hier nur so von Kollegen.
„So, und jetzt raus mit der Sprache. Was ist denn los mit dir? Du bist schon seit Tagen schlecht drauf.“
Tom kratzte an Kerzenwachs herum, das auf die Tischdecke gekleckert war.
„Ach, eigentlich ist gar nichts. Ich bin einfach nicht so gut drauf, das ist alles.“ Er pulte weiter an der Tischdecke herum.
„Ah ja. Deshalb sitzt du hier also wie ein Trauerkloß, weil EIGENTLICH gar nichts los ist.“
Er schaute auf. Etwas Trauriges lag in seinem Blick.
„Mein Opa liegt im Krankenhaus. Es sieht nicht gut aus.“ Oh weh! Tom war bei seiner Mutter aufgewachsen und kannte seinen Vater kaum. Er hatte ein sehr enges Verhältnis zu seinem Opa.
„Das tut mir leid!“ Ich nahm seine Hand.
„Warum hast du denn nichts gesagt? Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Ich weiß auch nicht. So ist das eben im Alter. Da kann man nichts machen.“ Er schaute traurig aus dem Fenster.
„Ach, jetzt red doch nicht so! Du hast genügend Überstunden, also sieh zu, dass du diese Woche immer früh hier verschwindest und zu ihm ins Krankenhaus fährst. Es dankt dir hier keiner, wenn du dich aufopferst. Und wenn etwas Dringendes ist, kann ich dir helfen.“ Er starrte weiter aus dem Fenster.
„Hörst du, Tom?“
„Ich glaube, er wird sterben. Er hatte ein langes Leben, hat viel erlebt, eine große Familie – keine Frage. Aber muss es jetzt so enden? Muss es überhaupt enden?“ sprudelte es aus ihm heraus. Wie gut konnte ich ihn verstehen.
„Es tut mir so leid. Ich weiß, was du jetzt fühlst. Verbring so viel Zeit mit ihm wie möglich. Er wird sich freuen. Und so schwer wie es ist, wenn die Zeit gekommen ist, musst du ihn gehen lassen. Er wird immer ein Teil von dir sein.“
Die Bedienung kam an unseren Tisch und stellte zwei Teller mit dampfender Pasta auf den Tisch. Keiner von uns hatte jetzt noch Appetit auf Pasta. Wir stocherten schweigend in den Nudelbergen herum. Tom seufzte.
„Wie war denn dein Wochenende so?“ er wollte nicht weiter über das Thema reden.
„Ich hab die Sonne genossen. War im Stadtpark und an der Ostsee. Und wurde mal wieder auf eine Hochzeit im Herbst eingeladen.“
Dankbar über den Themenwechsel griff Tom das Thema auf.
„Mal wieder? Wen nimmst du diesmal mit?“
Ich verdrehte die Augen.
„Ha, ha. Sehr witzig, Herr Kollege! Vielleicht möchtest du mich ja begleiten?“
„Bee wird begeistert sein, wenn ich mit ner anderen Frau zu einer Hochzeit gehe.“
„Siehste! Nicht mal du willst mit mir da hingehen!“ Ich grinste ihn an. Ich war froh, Tom etwas aufgeheitert zu haben. Die Sache mit seinem Opa schien ihn sehr zu belasten. Das Theater in der Agentur war dagegen so albern! Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass ich ihn die letzten Tage mit diesen Lappalien so in Beschlag genommen hatte und er mit wirklichen Problemen kämpfen musste. Die nächste Zeit würde schwer für ihn werden.

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