Chapter 9

Sonntagmorgen wachte ich gegen 10 Uhr auf. Froh darüber, dass es diesmal eine für das Wochenende angemessene Uhrzeit war, drehte ich mich noch einmal um, schaltete das Radio an und genoss es, faul zu sein. Ich hatte mir vorgenommen, dem Sonntag alle Ehre zu machen und mich ausgiebig dem Nichtstun zu widmen. Mein Krimi näherte sich dem Ende und wartete bereits ungeduldig darauf gelesen zu werden. Außerdem sollte ich mich etwas eingehender mit der Hochzeitseinladung auseinandersetzen. Ich hatte letzte Woche zugesagt, und nachgefragt, ob es eine Art Hochzeitstisch gab. Eigentlich war so etwas nichts für mich, ich schenkte nicht gerne nach Vorgabe. Aber es gab nun einmal diesen Brauch.
Nach einem ausgiebigen Frühstück setzte ich mich auf den sonnigen Balkon und verschwand für ein paar Stunden in Philadelphia zur Mörderjagd. Tiffi & Co. waren im nachbarlichen Garten natürlich auch wieder mit am Start, so dass der Sonntag ganz traditionell von statten ging. Bei Wein und Tatort ließ ich den Tag ausklingen. Bevor ich ins Bett ging, rief ich meine Mails ab. Jenny hatte mir geantwortet und ein paar Informationen zur Hochzeit geschickt – Farbwünsche bei der Kleiderordnung sowie eine Geschenkeliste. Und die hatte es in sich! Die Wünsche lagen preislich zwischen 100 und 250 Euro. Wow! Ich war entsetzt. Ich war in einem Alter, in dem im Jahr zwei bis drei Hochzeiten anstanden. Ich sollte mir wohl so langsam Gedanken über einen Kredit machen. Inklusive Anreise und neuem Kleid – die Wunschfarben der Braut passten nicht zu meinem üblichen Hochzeitsoutfit – kamen schnell 300 bis 400 Euro zusammen. Nicht genug, dass ich alleine dort würde hingehen müssen, nein, es würde mich finanziell auch noch ruinieren. Ich speicherte etwas schockiert die Liste ab und entschied, die Entscheidung bezüglich eines Geschenks zu verschieben.

Am nächsten Morgen verdrängte ich den Gedanken an die Hochzeit mitsamt dem ganzen Drum und Dran und begab mich in die Agentur. Dort angekommen stapelten sich bereits diverse Post-Its auf meinem Schreibtisch. Dringend!Rückruf!Bis vorgestern! Das klang nach einer anstrengenden Woche. In meinem Postfach sah es ähnlich aus. War ich denn die Einzige, die am Wochenende nicht gearbeitet hatte? Kaum, dass ich mich in die Arbeit vertieft hatte, kam eine Terminanfrage von Mr. P. Was für ein Wochenstart!
Tom klopfte an meine Tür.
„Komm rein, wenn dich Chaos nicht stört“, sagte ich halb im Scherz.
„Bei dir auch so ein Stress?“ Er sah ganz schön fertig aus.
„Ja. Wie geht es dir denn?“
„Na ja. Die Projekte laufen alle halbwegs. Nur die Dollberg mischt sich ständig ein. Als wenn sie keine eigenen Projekte hätte!“ Ich schaute ihn vielsagend an.
„Und zu Hause ist es auch etwas anstrengend. Opa will nicht ins Heim, er sagt, es geht schon irgendwie. Oma will nicht alleine in dem Haus bleiben und weint ständig. Und meine Ma sitzt zwischen allen Stühlen. Denn zu sich nehmen kommt auch nicht in Frage.“
„Oh man. Klingt fantastisch. Wie geht es ihm denn?“
„Frag nicht. Er war ja vorher schon vergesslich, aber jetzt ist es richtig schlimm. Dazu kommt, dass er extrem wackelig auf den Beinen ist und eigentlich rund um die Uhr Pflege braucht. Das ist teuer, wir können das alles aber auch nicht selbst leisten. Meine Ma kann ja schlecht ihre Arbeit aufgeben.“ Tom sah müde aus.
„Was sagt denn Bee dazu? Kannst du denn ab und an zu ihr ‚flüchten’?“
„Ja, das geht schon. Aber ich glaube, ihr ist das alles ein bisschen viel.“ Wie bitte?! Verständlich, dass das keine einfache Situation ist, aber Tom brauchte ihre Unterstützung. Tom sah mir meine Gedanken an.
„Sie hilft mir wirklich sehr, aber es ist eben nicht ihre Familie. Ich kann verstehen, dass sie die Belastung nicht auf sich nehmen will.“
„Ach, und du hast eine Wahl, oder was?!“
„Was soll das denn jetzt?“ Tom funkelte mich böse an.
„Entschuldige, ist nicht mein Tag heute. Ich finde es nur selbstverständlich, für den anderen da zu sein, wenn er eine schwere Zeit durchmacht.“
„Das ist sie.“
„Gut.“
„Pack das Kriegsbeil wieder ein, ich kann nicht auch noch mit dir Stress haben.“ Schön, dass Männer so unkompliziert waren. Ich lächelte ihn an.
„Hast ja recht. Lass uns einen Kaffee holen und dann über die zwei neuen Projekte reden. Mr. P hat es nicht gern, wenn wir unvorbereitet sind.“
„Aber unsere Vorbereitung wird seinen Ansprüchen auch nie gerecht …“ Ich seufzte.
„Sehr motivationsfördernd, Tom. Danke.“

Das Meeting verlief wie immer. Jeder stellte seine aktuellen Projekte vor, Mr. P gab seinen Senf dazu und am Ende war nichts klarer als vorher. Tom und ich bekamen die Dollberg zugeteilt, damit „sichergestellt ist, dass die Projekte so ablaufen, wie ich das wünsche“. O-Ton Mr. P. Äh ja, genau. Ich arbeitete nicht gerne mit dieser Frau zusammen (falls das noch nicht so ganz rüber gekommen war), und schon gar nicht, wenn ich drohte unter Arbeitsbergen zu versinken. Sie wusste immer alles besser und liebte es, bis spät in die Nacht und am Wochenende zu arbeiten – und alle anderen Projektbeteiligten auch zu diesen Zeiten zu kontaktieren. Aber es half nichts.

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